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Gesprächsleitfaden

Dialoge, um das theoretische Gerüst noch einmal praxisnah abzubilden

Checkliste:

Ein wesentliches Merkmal von Cybermobbing ist die höhere Anzahl der Beteiligten Akteur*innen. Der Zuschauerradius ist nicht räumlich begrenzt.

Daher gilt es Folgendes zu beachten:

  • Signalisieren, dass der/die Hilfesuchende nicht allein ist. Gemeinsam schauen, wer aus dem sozialen Umfeld zur Seite stehen kann.
  • Im Erstgespräch deutlich machen, niemals auf die Beleidigungen etc. zu reagieren
  • Beweise sichern durch z.B. Screenshots
  • Schule (als mögl. Tatort) informieren
  • Rechtsmittel prüfen
  • ggf. Polizei einschalten
  • https://www.internet-beschwerdestelle.de informieren, um eine Löschung zu beantragen

Fallbeispiel Sexting

Wie privat kann ein social media tool für intimen Austausch sein?

Andreas (16) und Johanna (15) sind ein Paar. Sie gehen in unterschiedliche Schulen, sehen sich nicht täglich und flirten umso mehr über soziale Netzwerke. Sie senden sich Bilder von sich, versehen mit entsprechenden erotischen Texten. Beide sind sehr verliebt und zeigen ihre erhaltenen Fotos den „besten Freunden“. Nun ist unter den Freunden aber auch einer, der gerne Johanna zur Freundin hätte. Er will Andreas ärgern und sendet diese Flirtszenarien – und nicht nur diese - an Freunde weiter.

Sexting = „Sex” und „Texting” – Austausch von intimen Fotos, versehen mit Text

Vorgeschichte

Andreas, 16 Jahre, vor einem Jahr noch äußerlich unattraktiv, schafft es endlich in der Schule angesehen zu sein. Plötzlich interessieren sich alle für ihn, auch Johanna, 15 Jahre.

Beide sind über beide Ohren ineinander verliebt und verbringen auch nach der Schule im Netz viel Zeit zusammen. Sie flirten und senden Fotos von sich mit erotischen Texten. Beide sind sehr verliebt und zeigen ihre erhaltenen Fotos den „besten Freunden”. Unter den Freunden ist auch einer, der gerne Johanna zur Freundin hätte. Er will Andreas ärgern und sendet diese Flirtszenarien – und nicht nur diese - an Freunde weiter.

Andreas ist geschockt als er von der Gemeinheit seines Freundes erfährt. Er sieht die erotischen Fotos mit ihm und Johanna im Netz veröffentlicht und mit belustigenden Kommentaren versehen. Doch das ist nicht alles. Parallel zu den Fotos sind auch ältere Fotos von Andreas dabei, die ihn zeigen, wie er früher ausgesehen hat. Unter den Fotos liest Andreas die abscheulichsten Kommentare über ihn. Andreas fühlt sich unwohl, Johanna möchte ihn nicht mehr sehen, sein Freund hat ihn verraten, in der Schule macht man sich über ihn wieder lustig, er ist allein und geht deshalb kaum noch zur Schule. Er ist verzweifelt und weiß nicht weiter.

Einen Monat später

Andreas erträgt diese Situation nicht mehr und wendet sich an die psychologische Betreuung seiner Schule, in der Hoffnung Unterstützung in seiner Situation zu bekommen:

1. Kontaktaufnahme

Andreas klopft an die Tür.

Beraterin:
„Komm herein! Ich heiße Kathrin. Wie heißt du?”, begrüßt die Sozialarbeiterin Andreas und bittet ihn Platz zu nehmen.
Andreas:
„Ich heiße Andreas.”
Beraterin:
„Was kann ich für dich tun?”
Andreas:
„Ich weiß nicht weiter ..., ich fühl mich allein.”
Beraterin:
„Es geht dir nicht gut, hm?”

Andreas schüttelt traurig den Kopf.

Beraterin:
„Vieles läuft im Leben nicht so rund. Hast du eine Ahnung, was es bei dir ist?”

Andreas verkneift sich die Tränen.

Beraterin:
„Andreas, du kannst mir vertrauen! ... Ich unterliege der Schweigepflicht. Alles, was du mir anvertraust, bleibt hier in diesem Raum!”
Andreas:
„Es ist soo viel … Schmerz, bin traurig,… enttäuscht … und eigentlich total durcheinander…!“
Beraterin:
„Was ist der Grund? (…) oder wer hat diese Gefühle bei dir ausgelöst?”
Andreas:
„Mein bester Freund.”
Beraterin:
„Verstehe. Das muss eine große Enttäuschung für dich sein.”
Andreas:
„Ja.”
Beraterin:
„Magst du darüber erzählen?”

2. Klärungsphase

Andreas fühlt sich insgesamt wohl und beginnt zu erzählen: Von seiner Vergangenheit, von den Schwierigkeiten, die er in der Schule hatte, aufgrund seines Äußeren akzeptiert zu werden, vom Wunsch auch eine Freundin zu haben und ein ganz normaler Junge sein, von Johanna, von seinem Freund (…).

Beraterin:
„Du bist sehr enttäuscht und sehr verletzt. Du hast deinem Freund sehr vertraut. Und du verstehst nicht, warum, er das getan hat?”
Andreas:
„Ja, wie konnte er es nur tun…”
Beraterin:
„Hast du mit deinem Freund schon darüber geredet?”
Andreas:
„Er geht mir aus dem Weg …”

Die Klärungsphase kann länger dauern, bis alle für die Situation relevanten Personen mitbedacht wurden, in der Geschichte ihren Platz bekommen und die Beraterin ein umfassendes Bild von allen Beteiligten bekommt.

Beraterin:
„Schön dass du mir vertraust und so viel erzählt hast. Da ist eine Menge zusammengekommen.“
Andreas:
„Was soll ich jetzt tun?“

3. Fokus

In dieser Phase werden Fragen, die Andreas zu Lösungen führen, gestellt. Andreas ist der Experte für sich und wird durch Fragen behutsam an für ihn mögliche Lösungen und Perspektiven herangeführt.

Beraterin:
„Was könntest du dir vorstellen, könnte dir gut tun?“
Andreas:
„Das es wieder so ist, wie früher ... bevor das alles passiert ist. Möchte ganz normal wieder zur Schule gehen können.“
Beraterin:
„Was müsste passieren, damit du wieder in die Schule gehen kannst?“
Andreas:
„Weiß nicht so richtig. Ich muss mal darüber nachdenken. Darf ich wiederkommen?“
Beraterin:
„Gerne. Dann lass uns doch einen zweiten Termin vereinbaren und in der Zwischenzeit hast du genug Zeit zum Nachdenken.“

4. Verabschiedung

Beraterin:
„Was brauchst du von mir, damit du bis wir uns wieder sehen gut klarkommst?“
Andreas:
„Nichts wirklich, bin froh mal alles los geworden zu sein.“
Beraterin:
„Wir haben jetzt über eine Stunde geredet und du hast viel über alles nachgedacht. Was sagst du, wenn wir uns am Mittwoch wieder treffen. Ich nehme mir gerne wieder eine Stunde Zeit für dich.“
Andreas:
„Mittwoch kann ich nicht.“
Beraterin:
„Welcher Tag passt für dich?“
Andreas:
„Ja, der Donnerstag, aber schon um 14 Uhr, wenn’s bei dir geht, später mag ich nicht, das fällt auf.“
Beraterin:
„Ok, Andreas, das passt auch für mich gut. Dann sehen wir uns wieder am Donnerstag um 14 Uhr. Hier ist meine Karte, falls sich etwas ändert.“

In diesem Beispiel wird deutlich, dass hier mehrere Gespräche nötig sind und jetzt erst einmal ein Prozess in Gang gekommen ist. Das Vertrauen von Andreas zu der Betreuerin ist noch nicht sehr stabil und er möchte auf keinen Fall, dass jemand mitbekommt, dass er jemanden um Rat gefragt hat. Das Gespräch hat ihm dennoch gut getan, sonst würde er sich keinen Folgetermin ausmachen und es bei einem Mal belassen. Jugendliche sind sehr sensibel in der Wahrnehmung und schrecken leicht zurück, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen in ihren Anliegen.

In der zweiten Sitzung wirkt Andreas etwas entspannter. Er ist froh, dass er mit jemanden über sein Problem reden kann. Er fühlt sich ernst genommen und aufgehoben. Die Tatsache, dass er sein Problem angesprochen hat, hat ihn zuversichtlicher und optimistischer eingestimmt, dass es zu einer Lösung seines Problems kommen kann. Die Zeitintervalle sind sehr hilfreich. Er fühlt sich nicht unter Druck gesetzt, kann weiterhin selbst bestimmen, welche Schritte gut für ihn wären. Für einen heranwachsenden Menschen ist es sehr wichtig, unabhängig zu bleiben und „cool“ zu erscheinen. Er fühlt, dass er an der richtigen Beratungsstelle ist.

Beraterin:
„Andreas, schön, dass du unseren Termin wahrnimmst. Du machst auf mich einen entspannteren Eindruck. Was ist in der Zwischenzeit passiert?“
Andreas:
„Bin froh, dass ich herkommen kann und mit dir darüber reden kann.“
Beraterin:
„Wer könnte dich noch dabei unterstützen? Hast du deinen Eltern davon erzählt?“
Andreas:
„Nee, traue mich nicht. Die würden sich sofort an die Eltern meiner Mitschüler wenden. Und dann lachen sie noch mehr über mich in der Schule.“
Beraterin:
„Verstehe. Und hast du dir Gedanken gemacht, was passieren müsste, um wieder in die Schule gehen zu können?“
Andreas:
„Ja, ... vielleicht Johanna? Ein Gespräch mit ihr?“
Beraterin:
„Was passiert in diesem Gespräch?“

Diese Frage lässt sich auch gut mit einer Wunderfrage kombinieren. In der Vorstellung solcher Wunder, ist es Jugendlichen auch möglich ihr Leben zu gestalten, weil sie ein Bild davon haben, wie ihr Leben aussehen kann. Es gibt ihnen enorm Kraft, wenn sie das Gefühl haben, weiterhin ihr Leben zu leben und ihren normalen, alltäglichen Aktivitäten nachgehen können.

Beraterin:
„Stell dir vor, in der Nacht, während du schläfst, geschieht ein Wunder und dein Problem, das dich hierher gebracht hat, ist gelöst, einfach so (mit den Fingern schnippen). Wie sieht das Gespräch mit Johanna aus?“

An den folgenden Gesprächen gewinnt Andreas mehr und mehr Vertrauen zu sich. Gleichzeitig gewinnt er den Mut, auch mit seinen Eltern über sein Problem zu reden und später auch mit Johanna. Das Vertrauen zueinander trägt entscheidend dazu bei, wieder in die Schule gehen zu können. So langsam kehrt wieder Normalität in sein Leben ein und Andreas vertraut darauf, dass sich auch die Beziehung zu seinen Mitschülern normalisieren wird.

Abschied

Beraterin:
„Was kann ich noch Gutes für dich tun?“
Andreas:
„Kann ich wieder kommen, wenn ich dich brauche sollte?“
Beraterin:
„Auf jeden Fall! Auch wenn du mich nicht brauchen solltest, freue ich mich einfach so von dir zu hören.“
Andreas:
„Danke. Tschüss.“
Beraterin:
„Tschüss Andreas.“

Fallbeispiel Posing

Machen dich Fotos in Netzwerken beliebter und berühmt?

Anna, 14 Jahre, hat sich verliebt und ihr Freund (15) beendet diese Liebe. Anna ist untröstlich. Was bleibt, ist Liebeskummer. Ihre Freundinnen trösten sie, hören zu (im besten Fall) und begleiten Anna in ihrer schmerzlichen Erfahrung. Nun kommt der EX Freund auf sie zu und schreibt: „Ich vermisse dich, deinen Körper, unseren Sex. Kannst du dich nackt fotografieren und mir das Bild senden?

Ich will wieder mit dir gehen.“ Anna schickt das Foto. Leider war das von ihrem EX-Freund nicht ernst gemeint und das Foto landet in der nächsten Minute auf den Smartphones aller FreundInnen.

Posing – Aufreizende Selbstdarstellung

Vorgeschichte

Anna, 14 Jahre, hat sich verliebt und ihr Freund (15) beendet diese Liebe. Anna ist untröstlich. Was bleibt, ist Liebeskummer.

Ihre Freundinnen trösten sie, hören zu (im besten Fall) und begleiten Anna in ihrer schmerzlichen Erfahrung. Nun kommt der EX-Freund auf sie zu und schreibt: „Ich vermisse dich, deinen Körper, unseren Sex. Kannst du dich nackt fotografieren und mir das Bild senden? Ich will wieder mit dir gehen.“ Anna schickt das Foto. Leider war das von ihrem EX-Freund nicht ernst gemeint und das Foto landet in der nächsten Minute auf den Smartphones aller FreundInnen.

1. Kontaktaufnahme

Anna besucht mehrmals in der Woche einen Jugendclub.

SozPäd:
„Hallo Anna, du wirkst so betrübt, ist dem so?“
Anna:
„Nö, ich hab nur Langeweile.“
SozPäd:
„Langeweile?“
Anna:
„Ja“
SozPäd:
„Wollen wir ein Spiel spielen?“
Anna:
„Ne, kein Bock.“

Ein anderes Mädchen kommt zur Tür herein und Anna erschreckt. Sie möchte nicht gesehen werden und dreht sich um.

Die Sozialpädagogin nimmt die Situation wahr, geht erneut auf Anna zu, legt ihre Hand auf die Schulter und sagt: „Die Welt da draußen ist ganz schön übel, oder?“

Anna fängt an zu weinen.

Die Sozialpädagogin tröstet und beginnt zu erzählen.

2. Klärungsphase

Anna erzählt aus ihrer Perspektive, was passiert ist.

SozPäd:
„Ich verstehe, du schämst dich, weil deine Bilder nun auch andere SchülerInnen sehen. Du bist sauer auf deinen Ex, dass er so etwas Gemeines tut. Und, du fühlst dich ausgegrenzt. Ist dem so?“
Anna:
„Ja. Und ich weiß nicht, mit wem ich darüber reden soll. Zu meinen Eltern mag ich nicht gehen. Ich schäme mich so. In die Schule kann ich auch nicht mehr gehen.“

Anna weint... SozPäd gibt dem Weinen Raum.

SozPäd:
"Dein Freund hat gegen das Recht am eigenen Bild verstoßen. Das ist eine Straftat und tut weh. Ich kann nicht ändern, was passiert ist, aber ich kann dir helfen, zu entscheiden, wie es weitergehen kann. Möchtest du das?“
Anna:
„Ja“

3. Fokus

SozPäd:
„Was müsste passieren, damit du wieder in die Schule gehst?“
Anna:
„Ich weiß nicht. Ich habe Angst, dass mich alle auslachen und schäme mich.“
SozPäd:
„Das kann ich gut verstehen. Hast du ein Lieblingsmärchen?“
Anna:
„Ja.“
SozPäd:
„Wie heißt es.“
Anna:
„Dornröschen.“
SozPäd:
„Welche Rolle aus Dornröschen würdest du am liebsten mal einnehmen?"
Anna:
„Die Rosenhecke, hinter der Dornröschen schläft. Denn dort ist Dornröschen sicher.“
SozPäd:
„Die Hecke oder das sichere Dornröschen?“
Anna:
„Das sichere Dornröschen."
SozPäd:
„Dornröschen hat die Sicherheit verlassen, als zur richtigen Zeit am richtigen Ort der Prinz kam. Ich bin zwar kein Prinz, aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Darf ich in die Schule gehen und mit deinen Mitschülern reden?“
Anna:
„Und ich?“
SozPäd:
„Du bleibst morgen zuhause bei deinen Eltern.“
Anna:
„Oh Gott, bei meinen Eltern?“
SozPäd:
„Ja, warum nicht?“
Anna:
„Weil...ich schäme mich so.“
SozPäd:
„Was befürchtest du?“
Anna:
„Dass sie peinliche Fragen stellen.“
SozPäd:
„Wir könnten deine Eltern bitten, dies in den nächsten 2 Wochen nicht zu tun. Was meinst du?“
Anna:
„Das machen die nicht.“
SozPäd:
„Kannst du Hellsehen? Dann zeig mir was von deiner Gabe, ich möchte das auch können.“
Anna:
„Ne, aber ich weiß das.“
SozPäd:
„Woher. Hast du es schon einmal ausprobiert?“
Anna:
„Ne.“
SozPäd:
„Na dann, lass es uns ausprobieren! Ich komme mit und unterstütze dich. Ich rufe deine Eltern an und bitte sie, dass du hier bleiben kannst, bis ich mit dir nach Hause gehe. Zuhause angekommen, bitten wir dann um die Vereinbarung, dir in den nächsten 14 Tagen keine peinlichen Fragen zu stellen. Morgen darfst du zuhause bleiben unter einer Bedingung.“
Anna:
„Welche?“
SozPäd:
„Bitte beantworte morgen keine einzige Nachricht, egal von wem sie kommt.“
Anna:
„Ok.“

Märchen bieten zu 95 Prozent  positive Lösungen mit folgender Botschaft an: Das Leben kann auch unter erschwerten Bedingungen und angesichts von Konflikten bewältigt werden. Es kommt nicht darauf an, ob jemand reich oder schön ist. Es ist das Gute, die Entwicklung und das Potential eines jeden Menschen, die zählen.

Die Lieblingsmärchen sind oft „Schlüssel“ der eigenen Biografie und somit Mutmacher – für Kinder und Jugendliche.

In Annas Fall brauchte es  viel Mut, mit der Scham nach Außen zu gehen. Daher haben wir zur Fokussierung das Märchen als Mutmacher hinzugenommen. Des Weiteren  wird in diesem Dialog deutlich, dass es oft mehrere Hilfequellen braucht.

Im weiteren Verlauf

Die SozPäd hat noch am selben Abend die Polizei informiert und die Beschwerdezentrale schriftlich um Mithilfe gebeten.

Am Folgetag gab es zusammen mit dem Schulsozialarbeiter, dem Lehrer und den Schülern eine Klassenkonferenz mit folgenden Methoden und Ergebnissen:

  • Methoden: Rollenspiel, Gruppenarbeit, Einzelgespräche mit Freundinnen
  • Ergebnisse:
    • Alle Schüler*innen löschten im Beisein des Lehrers das Bild vom Smartphone.
    • Alle Schülerinnen entwickelten gemeinsam Ideen, Anna zugewandt und respektvoll zu begegnen.
    • Es wurde ein Regelwerk im Umgang miteinander definiert.

Anna wurde nach ihrer eintägigen Auszeit von der Schule wertschätzend in der Klassengemeinschaft empfangen. Es brauchte noch 5-7 Tage, bis im Schulleben wieder Normalität gelebt wurde. Die Eltern hielten sich an die Vereinbarung, keine peinlichen Fragen zu stellen und gaben Anna den nötigen Schutz der Familie.

Nach Tagen erzählte Anna intrinsisch ihren Eltern von ihren Erfahrungen.

Fallbeispiel Grooming

Weißt du wer wirklich online ist?

„Lilly ,14 Jahre, ist mit einem sehr freizügigen Profil bei Facebook. Im Netz trifft sie Phillip (angeblich 16 Jahre), der sich als väterlicher Freund ausgibt und eigentlich Hans-Peter 35 Jahre) heißt. Er hört ihr zu und zunehmend vertraut sie ihm. Er schickt ihr Komplimente, sie bekommt endlich Aufmerksamkeit und fühlt sich geborgen. „Phillip“ bittet Lilly um ein Bild von ihr. Der Austausch mit Text und Bildern wird intimer und die Forderungen werden mehr. Inzwischen hat Lilly ihre persönlichen Daten herausgegeben und Phillip möchte sie besuchen, denn sein Ziel ist eine sexuelle Handlung.

Grooming – Beginn sexueller Kontakte über das Internet

Vorgeschichte

„Lilly 14 Jahre ist mit einem sehr freizügigen Profil bei Facebook. Im Netz trifft sie Phillip (angeblich 16 Jahre), der sich als guter Freund ausgibt und eigentlich Hans-Peter heißt und 35 Jahre alt ist. Er hört ihr zu und zunehmend vertraut sie ihm. Er schickt ihr Komplimente, sie bekommt endlich Aufmerksamkeit und fühlt sich geborgen. „Phillip“ bittet Lilly um ein Bild von ihr. Der Austausch mit Text und Bildern wird intimer und die Forderungen werden mehr. Inzwischen hat Lilly ihre persönlichen Daten herausgegeben und Phillip möchte sie unbedingt besuchen.

Sie verabreden sich bei Lilly zu Hause, unerwartet bekommt Lilly von einer Freundin Besuch und ist somit nicht alleine als „Phillip“ läutet. Er geht sofort weg, denn sein Ziel war eine sexuelle Handlung (mit Lilly) und beschimpft Lilly umgehend über den Chat und macht ihr Druck für ein weiteres Treffen.

Lilly hat nicht mit dem heftigen Wutausbruch und dem Shitstorm gerechnet und ist total frustriert. Zusätzlichen Stress mit dem Freund, der sie doch bis jetzt so gut verstanden hat und mit dem sie intime Dinge besprochen hat, kann sie nicht gebrauchen. Außerdem hat er anders ausgesehen, viel älter als er sich im Netz beschrieben hat. Lilly ist total verunsichert, will aber nicht mit ihren Eltern sprechen, die sie zurzeit sowieso nicht verstehen. Sie traut sich auch nicht mehr alleine nach Hause zu gehen. Als der Druck von Phillip zu groß wird, verbringt sie mehr Zeit im Jugendzentrum als in der Schule. Einem Betreuer fällt das auf und er spricht sie darauf an.

1. Kontaktaufnahme

Betreuer:
„Hallo Lilly, schön, dass du so oft zu uns kommst. Gefällt es dir hier?“
Lilly:
„Ja, schon,…“
Betreuer:
„Heute ist noch fast niemand da, magst du mit mir eine Runde spazieren gehen?“
Lilly:
„Mmmh, weiß nicht,…“
Betreuer:
„Was möchtest du machen?“
Lilly:
„Weiß nicht, ist alles scheiße,…“
Betreuer:
„Echt alles?“
Lilly:
„Ja, niemandem kann man trauen,…“
Betreuer:
„Ja, manchmal wird man ganz arg enttäuscht. Manchmal von denen, von denen wir es am wenigsten erwarten. Kennst du das, wenn man nicht mehr weiß, was man tun soll?“
Lilly:
„Ja genau, keiner versteht mich, alle nutzen mich aus und du weißt auch nix.“
Betreuer:
„Richtig. Alles weiß ich auch nicht, aber wenn du eine Meinung brauchst oder jemanden zum Zuhören – das kann ich schon.“
Lilly:
„Das hab ich schon mal geglaubt! Und dir kann ich auch nicht trauen!“
Betreuer:
„OK, aber mich kennst du doch. Du erlebst mich doch hier auch mit anderen im Gespräch. Hast du mich schon jemals tratschen gehört?“
Lilly:
„Nein“
Betreuer:
„Na, wie wäre es denn mit einer Chance? Wir können es ja miteinander versuchen. Sobald du ein ungutes Gefühl hast, kannst du jederzeit abbrechen.“

Lilly überlegt und beginnt zögerlich, Stück für Stück ihre Situation zu schildern.

2. Klärungsphase

Lilly:
„Ich bin so blöd, zu Hause hab ich nur Stress und dann finde ich jemanden mit dem ich reden kann, …“
Betreuer:
„Ja, aber deshalb bist du nicht blöd. Was war denn so toll an den Gesprächen mit ihm?“
Lilly:
„Er war so süß und hat so nett geschrieben. Er hat mich als Einziger verstanden und ich hab ihm so viel von mir erzählt und Fotos geschickt! Ich hätte nie geglaubt, dass er mich anlügt. Jetzt verfolgt er mich, weiß wo ich wohne und ich trau mich nicht mehr heim. Außerdem ist er alt.“
Betreuer:
„Ok, Ich verstehe, er hat nicht nur deine Gefühle verletzt sondern bedroht dich auch?“
Lilly:
„Ja genau und meine Freundin fragt mich dauernd wer das war, was soll ich ihr erzählen? Die lacht mich aus. Ich hab ihr doch erzählt, was für einen netten Freund ich habe, dem ich wirklich wichtig bin. Nicht so wie die von diesen dummen Tussis, meiner ist nicht so blöd und kindisch.“
Betreuer:
„Du denkst, du stehst vor deinen Freundinnen dumm da?“
Lilly:
„Ja sicher! Was glaubst du denn. Ich hab ja auch genug angegeben.“
Betreuer:
Lilly:

Die Klärungsphase gestaltet sich unterschiedlich lange.

Lilly hat sich einen weiteren Termin vereinbart und möchte herausfinden was sie tun kann. Sie kommt alleine nicht mit ihrem Problem zurecht.

Kurzer Einblick in den 2. Gesprächstermin (Schwerpunkt Fokus):

Lilly:
„Glaubst du dass das alles wieder mal besser wird?“
Betreuer:
„Was soll besser werden Lilly?“
Lilly:
„Naja, dass mich der Mann in Ruhe lässt, dass ich mit meinen Eltern reden kann, dass mich nicht alle für einen Vollidioten halten.“
Betreuer:
„Was würden deine Eltern machen, wenn sie von dem Mann erfahren?“
Lilly:
„Die würden ausrasten!“ Und mir das Handy gleich wegnehmen und das Internet verbieten!“

In der Fokusphase kann es entscheidend sein, den Jugendlichen Zeit bei den Antworten zu lassen. Denkprozesse werden angeregt und die jungen Menschen entwickeln für sie brauchbare Lösungswege. Im ersten Moment wird verbalisiert was sie an Reaktionen von den jeweiligen Personen erwarten. Wenn der Coach in diesem Fallbeispiel ein wenig abwartet und dem Jugendlichen Zeit gibt, kann es sein, dass weitere Überlegungen folgen.

Lilly:
„Naja, vielleicht fragen sie mich auch wer das ist und ob mir was passiert ist,…“
Betreuer:
„Es könnte also auch sein, dass sie sich Sorgen um dich machen?“
Lilly:
„Vielleicht machen sie Theater oder rufen die Polizei. Mir ist alles so peinlich!“

Hier werden exemplarisch weitere Fragen aufgelistet, die in der Fokusphase gestellt werden könnten:

  • Was würde passieren wenn du den Mann anzeigst?
  • Was würde passieren, wenn du deinen Freundinnen und Freunden erzählst was dir passiert ist?
  • Glaubst du dass Freundinnen von dir schon mal so was Ähnliches passiert ist?
  • Was könntest du tun, damit dir das nicht mehr passiert?
  • Wenn du das Gespräch nicht alleine führen müsstest, gibt es jemanden den du mitnehmen möchtest?“
  • Wenn du es dir aussuchen könntest, wer wäre das?

Entscheidend ist in dieser Phase, Lilly erkennen zu lassen, dass das kein harmloser Vorfall ist, an dem sie Schuld hat. Das ist eine Straftat – eine Anzeige bei der Polizei ist hier wichtig! Was Lilly braucht, ist Unterstützung und Schutz im Elternhaus, im Freundeskreis und in der Schule.

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